Büchners „Woyzeck“ im Berliner Ensemble – Eine Rezension

19.01.2024

von Amal Zaghloul (Q3) 

Am 22.11.2023 besuchten wir als Deutsch-Grundkurs das Berliner Ensemble und schauten uns ein Theaterstück zu Georg Büchners Drama „Woyzeck” an. Wir hatten das gesamte Semester über das Drama behandelt und eine Klausur zum Thema geschrieben.

Umso interessanter war das Theater und vor allem seine Interpretation des Dramas für uns. In Woyzeck geht es um einen armen Pauper namens Woyzeck, der seine physische und mentale Gesundheit für seine Freundin Marie und deren uneheliches Kind aufgibt, indem er extrem viel, teilweise ungesunde Arbeit verrichtet. Er wird von seinen Mitmenschen nicht wertgeschätzt und nicht ernstgenommen. Parallel dazu betrügt ihn Marie mit dem sogenannten Tambourmajor, was letztlich zum Wahn Woyzecks führt. Woyzeck ermordet seine Freundin schließlich. Das Theater setzte das Drama auf eine eher unübliche Weise um. Alle Figuren waren männlich, darunter auch Marie. Das uneheliche Kind Woyzecks und Maries war unsichtbar und einige Stellen des Theatersstücks waren nicht im originalen Dramentext zu finden. Der Ort der Ereignisse war durchgehend ein düsterer Wald. Die dadurch erzeugte Stimmung wurde durch die fast unnatürliche Musik unterstützt. Die instrumentale Begleitung des gesprochenen Texts ,,Ein guter Mord, ein schöner Mord” blieb mir hierbei als Beispiel am besten in Erinnerung. Diese Vertonung fand bereits zu Beginn des Theaters statt, obwohl die Aussage erst relativ spät im Werk erscheint. Woyzecks Figur war im Theater sehr interessant und wirkte anders als im Drama selbst. Er wirkte zerbrechlich und von Anfang an wahnsinnig und unzurechnungsfähig. Hier ist ein Unterschied zum Drama zuerkennen, da Woyzeck in der ersten Hälfte des Dramas recht zurechnungsfähig wirkt. Seine eingeknickte Art zu gehen, sein sehr schmaler, leichter Körperbau stärkten diesen Effekt. Sein Wahn wurde mittels bestialischer Figuren dargestellt, die immer wieder auftauchten. Am Ende des Stücks waren alle Menschen in seinem Umfeld in den Kostümen der Figuren gekleidet und umzingelten Woyzeck. Dies könnte eine Anspielung darauf sein, dass Woyzeck durch die Menschen in seinem Umfeld, also die Gesellschaft, wahnsinnig geworden ist.

Die Beziehung zwischen Marie und Woyzeck wurde ebenfalls sehr verändert dargestellt. Sie hatten in der Theaterumsetzung eine sehr enge Bindung und Marie himmelte Woyzeck förmlich an. Im Kontrast dazu ist Marie im Original teilweise abwertend Woyzeck gegenüber und abweisend. Marie verhielt sich in der Adaption außerdem eher stereotyp weiblich. Das liegt jedoch möglicherweise daran, dass der Zuschauer verstehen sollte, dass die männliche Marie trotzdem noch eine Frau darstellen sollte. Warum Marie männlich war kann ich mir nicht ganz erklären. Eventuell sollte das gesamte Theater die übertriebene Männlichkeit kritisieren und Marie hätte in diesem Bild gestört. Jedoch wäre hier ein extremer Kontrast durch eine Frau vielleicht aussagekräftiger gewesen. Ziemlich klar war durch die Besetzung, dass Geschlechterrollen im Fokus stehen sollten.

Woyzeck im Berliner Ensemble war mein erster Theaterbesuch, weshalb ich nicht einschätzen kann, ob diese extreme Interpretation eines Werks im Theater normal ist, jedoch muss ich die Umsetzung stark kritisieren, weil wir als Zuschauer nicht wirklich verstehen, was gemeint ist. Ich hätte ein klassisches Theater mit der Einhaltung des Originaltexts wahrscheinlich mehr genossen. Interpretation ist schließlich eine Sache, die Änderung des Skripts, der Szenen und der Besetzung jedoch eine andere.